Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Rassismus / Antimuslimischer Rassismus: 
»Das soll jetzt nicht rassistisch klingen, doch...«

Wie auch bei anderen Ungleichheitsideologien ist die gesellschaftliche Kritik an Rassismus vielfach reduziert auf die Kritik an dessen radikalen Ausdrucksformen.

Doch nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche – auch in der Musik und im Sport – sind von Rassismen durchzogen, gesellschaftliche Verhältnisse werden durch sie strukturiert und Vorstellungen entsprechend geprägt. Der Kern des Rassismus ist eine ethnisierte Gruppenzuschreibung: Das Verhalten einzelner Menschen wird mit ihrer »Rasse«, Herkunft, Religion, »ethnischen Zugehörigkeit«, Sprache oder »Kultur« erklärt. Die ausgemachten Gruppenmerkmale werden zu unveränderlichen Eigenschaften, hinter denen der*die Einzelne nicht mehr wahrgenommen wird, und die andere Erklärungsansätze für Verhalten und Verhältnisse überflüssig machen. 1 Die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften und Eigenarten wiederum sollen »ihre« gesellschaftlichen Rollen festlegen.

Ethnisierende und exotisierende Gruppenzuschreibungen

Gerade im Fußball-Kontext sind ethnisierende und exotisierende Zuschreibungen allgegenwärtig. So brächten nach Ansicht vieler Menschen brasilianische Fußballspieler Leichtigkeit und Eleganz ins Spiel und würden für besondere Momente und Glamour sorgen. Je stärker diese auf »ihre« vermeintlichen Eigenschaften und damit verbundene Erwartungen der Fans und Vereine festgelegt und reduziert werden, desto mehr entsteht eine Gegensatzkonstruktion, die den Brasilianern explizit oder implizit das abspricht, was als Primärtugenden des »deutschen Fußballs« gilt: Kampf, Disziplin, Teamgeist, Siegeswille, Führungsstärke (der einen) und Unterordnung (der anderen). Wenn ein brasilianischer Kicker zu spät und mit Übergewicht aus dem Urlaub zurückkehrt oder wenn er im Verein Integrationsprobleme (»Heimweh«) hat, so gilt dies als typisch: »So sind sie eben.«

Wenngleich die angeblichen Besonderheiten der Spieler*innen aus anderen Nationen oft auch neutral und positiv bewertet werden, so werden dennoch Menschen aufgrund einer ethnisierten Gruppenzuschreibung auf ihr Anders-Sein und auf bestimmte Rollen festgelegt. Das sind die Grundlagen rassistischen Denkens und rassistischer Verhältnisse.

Stadien als Kristalli­sationspunkte rechter Gruppen

Fliegende Bananen gegen dunkelhäutige Spieler*innen und die berüchtigten »Affenlaute«, wenn diese in Ballbesitz sind, sind in Deutschland in den Stadien der oberen Ligen nur noch selten zu vernehmen. Derartige rassistische Ausfälle von Fans wurden in der Vergangenheit zunehmend von Vereinen, Fanprojekten und Fangruppen problematisiert und erfuhren Konsequenzen für die Ausführenden z.B. in Form von Stadionverboten und für Vereine durch Strafgelder.

Doch Rassist*innen wurden dadurch mehrheitlich nicht geläutert oder gar bekehrt. Die Erfahrungen vergangener Jahre zeigen, dass rechte Fans und Fangruppen, die in Stadien der Bundesligen auffällig wurden, deswegen unter Beobachtung stehen oder mit Stadionverboten belegt sind, zu Vereinen in mittleren Ligen abwandern, wo sie oft erheblich mehr politische Freiräume genießen. Zum Erlebnisraum Fußball zählen zudem die Anreisen in Bahnen oder die Treffpunkte der Fans in den Innenstädten, wo jenseits des Stadion-Reglements, Überwachung und medialer Aufmerksamkeit immer wieder rassistische Beleidigungen und Übergriffe stattfinden.

Rassistische Bewegungen und Mobilisierungen werden seit 2014 maßgeblich von Personen und Strukturen aus Fußballszenen getragen: Die Hooligans Gegen Salafisten (HoGeSa) und deren Nachläufer sowie die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA), die sich im Herbst 2014 maßgeblich aus der Fußballszene um Dynamo Dresden formierten. In PEGIDA und deren Adaptionen in anderen Städten, beispielsweise bei LEGIDA in Leipzig, stellen Fußballfans und Hooligans im Wesentlichen die Ordnerdienste.

ausländerRausLeipzig

Hooligans des Vereins 1. FC Lokomotive Leipzig posieren 2015 vor einem Graffito »Ausländer Raus! Deutschen den Deutschen«.

Seit dem Aufkommen von HoGeSa sowie PEGIDA und nochmals verstärkt seit der Debatte um die Aufnahme von Kriegsgeflüchteten im Jahr 2015 werden an nahezu jedem Spieltag mehrere Fälle rassistischer Gewalt bekannt, die von Fußballfans ausgehen. Wie zum Beispiel: Berliner Fans beleidigen und attackieren einen Autofahrer arabischer Herkunft, Hildesheimer Fans greifen aus rassistischer Motivation Geflüchtete an, Rostocker Fans ziehen vor eine Unterkunft Geflüchteter und singen das »U-Bahn-Lied« (› Antisemitismus). Rassistische Fußballfans sind in ihrem Handeln nicht auf Spieltage beschränkt. So verbreiten Leipziger Fans Fotos, auf denen sie vor einem »Ausländer raus«-Graffiti posieren (siehe Foto) und in den Krawallen gegen Geflüchtete im sächsischen Heidenau im August 2015 waren rechte Fußballfans aus Sachsen tonangebend.

Die Rechten, denen in den Stadien Zurückhaltung auferlegt wird, tragen ihren Rassismus nunmehr offensiv und gewalttätig auf die Straßen und vor die Unterkünfte der Geflüchteten. Die Vereine verweisen vielfach darauf, dass dies außerhalb ihrer Einflusssphären und Verantwortungsbereiche geschehe. Doch ohne die Stadien als Räume des Kennenlernens, der Integration und der Gruppenbildung, wären Formierungen wie HoGeSa und PEGIDA in dieser Form nicht möglich gewesen.

»Man wird doch noch sagen dürfen«

In dem Maße, wie offener Rassismus gesellschaftliche Ächtung erfährt, verlagern sich rassistische Äußerungen in allen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen auf die Ebene des »Man wird doch noch sagen dürfen.« Wenig Widerspruch erfahren Musiktexte wie beispielsweise »Die neuen Hippies« der selbst erklärt »unpolitischen« Deutschrock-Oi-Band Gerbenok. Dieser bietet in zwei Strophen eine beispielhafte Verschränkung von Schwulenfeindlichkeit und Rassismus:

»Die Disko ist der letzte Schrei, die Mucke echt voll cool. Jeder tanzt den Affentanz, doch sind sie alle schwul. Sie wollen echte Männer sein, mit ihrem dritten Mittelbein, bei Depression ein kleiner Tip, 'ne Pille hilft zum nächsten Trip […] Das soll jetzt nicht rassistisch klingen, doch es ist nun einmal so. Irgendwelche Asylanten dealen auf dem Bahnhofsklo. Mit langem Haar und schöner Bräune stehen sie an der Litfaßsäule, schicken Kinder auf den Strich, doch das interessiert euch nicht.«

Durch die Abgrenzung vom Rassismus schaffen sich Gerbenok die Möglichkeit, rassistische Klischees und Bilderwelten (»Affentanz«) abzurufen, ohne sich dafür zu verantworten.

 

Antimuslimischer Rassismus

Die Band Gerbenok gibt sich als Sprachrohr einer Subkultur, die konkurrierende Musik- und Jugendkulturen mit rassistischen und schwulenfeindlichen Klischees belegt. Die Band Frei.Wild hingegen bedient stärker den antimuslimischen Rassismus und nimmt die Wir-Perspektive der christlichen (abendländischen) Kultur ein, die sich »fremden« Einflüssen erwehren müsse. In ihrem Lied »Brixen« wirft die Band einen nostalgischen Blick auf die Stadt ihrer Herkunft:

»Stolz unserer Väter, voll Kultur und Kunst, inmitten von Bergen. Religion und Pflichtbewusstsein sollten der Grund deiner Schönheit sein.«

Prompt folgt die Anklage:

»Doch ist heute alles anders, vieles Scheiße: Verkehr, Umweltverschmutzung, Bauten fremder Welten.«

Christliche Kultur und Kunst werden mit Schönheit, »Bauten fremder Welten« andererseits mit Umweltverschmutzung und »Scheiße« assoziiert, wobei hier nicht konkretisiert wird, was die »Bauten fremder Welten« sein sollen. In ihrem Lied »Land der Vollidioten« prangern Frei.Wild an:

»Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat. Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten, wir sind einfach gleich wie ihr, von hier. […] Die höchsten Leute im Staat beleidigen Völker ganzer Nationen und ihr Trottel wählt Sie wieder. Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt vor den andersgläubigen Kindern.«

 

Der Respekt, den man der als einheimisch beschriebenen christlichen Kultur zollt, steht »Andersgläubigen« nicht zu. Deren Ansprüche gelten als überzogen. Auch bei Frei.Wild sind derartige Aussagen stets in die Distanzierung vom Neonazismus und das Label »Frei.Wild gegen Rassismus und Extremismus« eingebettet.

Die Bremer Musikband Kategorie C – Hungrige Wölfe ist das musikalische Sprachrohr des HoGeSa-Spektrums. Im Oktober 2014 veröffentlichten sie ihren Song »Hooligans gegen Salafisten«. Auf einen Werbe-Jingle des Liedes auf der Video-Plattform Youtube wurde binnen sechs Tagen über 120.000 Mal zugegriffen und er wurde fast durchweg positiv kommentiert. Diese hohe Zahl gibt einen Hinweis darauf, wie breit der antimuslimische Rassismus von HoGeSa und Kategorie C auch außerhalb der extremen Rechten angenommen wird.

Doppelte Standards in der Wahrnehmung des Deutsch-Seins

Gerade im Fußball-Kontext zeigen sich antimuslimische Einstellungen in vielfältiger Weise. So ist »Deutsch-Türke« eine verbreitete Beschreibung für den deutschen Nationalspieler Mesut Özil, wobei die deutsche Grammatik den zweiten Teil des Wortes, den »Türken«, betont. Bei der Weltmeisterschaft 2014 gab es eine breit geführte Debatte darum, dass Özil die deutsche Nationalhymne nicht mitsingt. Es wurde darüber diskutiert, ob er sich »genug« mit Deutschland identifizieren würde. Verschärft wurde die Debatte dadurch, dass Özil Jahre zuvor in einem Interview beiläufig geäußert hatte, er würde vor Fußballspielen Koranverse murmeln, um sich zu motivieren. Nicht nur in dezidiert rechten Kreise entstand das Bild, Özil würde Koranverse zitieren, anstatt die Nationalhymne zu singen.

Vergleichbare Debatten sind beispielsweise von Miroslav Klose, der in Polen geboren wurde und siebenjährig als sogenannter Spätaussiedler nach Deutschland kam, nicht bekannt. Klose singt auch nicht mit. Und niemand kommt auf die Idee, Miroslav Klose und Lukas Podolski, der ebenfalls in seiner Kindheit von Polen nach Deutschland kam, als »Deutsch-Polen« zu benennen.

Obwohl Mesut Özil in Gelsenkirchen geboren ist, keine doppelte Staatsbürgerschaft hat und nach eigener Aussage in seinem Leben »mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht« hat, erfährt er seine Exotisierung als »Deutsch-Türke«. Denn Özil ist Muslim und seine Eltern kommen aus der Türkei, einem Land, dass in Deutschland stark mit Islam assoziiert ist. Obwohl er betont, dass er seine Religion nicht als öffentliches Thema sähe und jahrelang mit einer Freundin christlichen Glaubens liiert war, so steht er – als »Gastarbeiterkind« und Muslim – unter dem Generalverdacht mangelnder Verbundenheit mit Deutschland. Ihm wird eine emotionale und unveränderliche Zugehörigkeit zum Herkunftsland seiner Eltern, der Türkei, unterstellt. Das Mitsingen der Nationalhymne wird von ihm als Beweis seiner Assimilation und seiner Loyalität zu Deutschland eingefordert.

In den Augen vieler ist Mesut Özil »kein richtiger Deutscher«, sondern ein Türke mit deutscher Staatsbürgerschaft oder – wie der Begriff »Deutsch-Türke« suggeriert – allenfalls ein »halber Deutscher«. Die doppelten Standards, die für das Deutsch-Sein gelten und die im Vergleich zwischen Mesut Özil und Miroslav Klose erkennbar werden, lassen sich mit einem tief verwurzelten Misstrau-en der Mehrheitsbevölkerung gegenüber Muslimen bzw. Menschen aus islamisch geprägten Ländern erklären. Viele Menschen mögen Muslime zwar als »die Anderen« tolerieren, aber nicht als gleichberechtigte Angehörige der nationalen Gemeinschaft akzeptieren.

Ungleichheitsöd  rockSteinzeit

wpZeichen WP Faust

Ein Oi- und Metalpunk-Konzert fand 2014 in Hessen unter dem »Politics fuck off« statt. Das Unternehmen Fankultur24, das auf dem Konzertplakat wirbt, ist aus extrem rechten Kreisen entstanden. Ein Foto des Konzertes zeigt den Sänger einer der Bands mit einer Angehörigen der neonazistischen Kameradschaftsszene. Sie trägt als Tätowierung am rechten Arm die »White-Power-Faust«, er das stilisierte Keltenkreuz, das »White-­Power-Zeichen«. Die beiden Symbole sind rechte Codes für eine »weiße Vorherrschaft«. Weitere Informationen: www.dasversteckspiel.de, Foto: Facebook

 

1 Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit, Warum wir von Rassismus sprechen und was wir damit meinen, http://baustein.dgb-bwt.de/PDF/C3-VonRassismusSprechen.pdf

Tipps zum Weiterlesen:

DGB-Bildungswerk Thüringen e.V. (Hg.), Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit

Deutschland Schwarz Weiss, der alltägliche Rassismus, Noah Sow, Goldmann, ISBN 978-3-442-15575-0

Kritik der schwarzen Vernunft, Achille Mbembe, Suhrkamp, ISBN 978-3-518-58614-3

Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht, Elina Marmer / Papa Sow (Hrsg.), ISBN: 978-3-7799-3323-6

Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand, Iman Attia, Alexander Häusler, Yasemin Shooman, ISBN 978-3-89771-128-0

Antimuslimischer Rassismus Auf Kreuzzug für das Abendland, Kuhn, Inva, Pappyrossa Verlag, ISBN 978-3-89438-560-6

Wie Rassismus aus Wörtern spricht, (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.) ISBN 978-3-89771-501-1, Unrast

Skandal und doch normal, Impulse für eine antirassistische Praxis, Margarete Jäger, Heiko Kauffmann (Hg.), ISBN 978-3-89771-760-2, Unrast

Islamfeindlichkeit – Aspekte, Stimmen, Gegenstrategien“ herausgegeben im Auftrag des IDA e. V., ISSN 1616-6027

 

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